Wie müsste Mobilität am Himmel beschaffen sein, um die durch den Luftverkehr verursachten Emissionen drastisch zu senken? Die ganze Welt spricht von Wasserstoff als Heilsbringer. Um mit ihm fliegen zu können, sind nicht nur völlig neue Antriebe nötig: Wasserstoff muss erzeugt und zum Flughafen transportiert werden. Wie können diese Änderungen vollzogen werden und gleichzeitig das Fliegen noch wirtschaftlich bleiben? Diesen Fragen geht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nach. Die Klimaforscherin Dr. Katrin Dahlmann, der Luftfahrtantriebs Ingenieur Jannik Häßy und Dr. Veatriki Papantoni, die im Bereich erneuerbare Energien forscht, sprechen darüber, wie eine emissionsarme Luftfahrt erreicht werden kann.
Die deutsche Bundesregierung strebt mit dem Klimaschutzgesetz Treibhausgasneutralität bis 2045 an. Welche Rolle spielt dabei der Luftverkehr?
Häßy: 2019, auf Vorpandemieniveau, hat dieser weltweit circa drei Prozent der CO2-Emissionen verursacht. Mit steigender Impfquote wird der Wunsch nach Geschäfts- und Urlaubreisen vermutlich zurückkehren. Außerdem ist davon auszugehen, dass der weltweite Bedarf nach Flugreisen in den nächsten Jahrzehnten weiter ansteigt.
Dahlmann: Gerade beim Luftverkehr beeinflussen neben CO2 auch andere Effekte das Klima. Aktuell trägt die Luftfahrt fünf Prozent zum menschen- gemachten Treibhauseffekt bei. Um die Luftverkehrsemissionen und deren Klimawirkung zu senken, besteht akuter Handlungsbedarf.
Muss man denn zwingend weniger reisen, wenn man das Klima schonen will?
Häßy: Meiner Meinung nach ist die Welt zu vielfältig und schön, um vollständig auf Fernreisen zu verzichten. Interkultureller Austausch ist wichtig für eine friedliche Welt. Aber natürlich sollten wir uns bei jeder Flugreise fragen, ob sie notwendig ist. Radikale innovative Flugzeugkonzepte könnten eine deutlich geringere Klimawirkung erzielen. Allerdings haben Luftfahrtantriebe lange Entwicklungszeiten.
Dahlmann: Kurzfristiger könnte die Klimawirkung durch Änderungen in der Flugführung und der Routenplanung reduziert werden. Wenn man in einer tieferen Atmosphärenschicht fliegt, ließen sich klimaerwärmende Auswirkungen um bis zu 42 Prozent verringern. Ein Problem ist allerdings, dass die Flugzeuge aufgrund der höheren Reibung mehr Treibstoff verbrauchen und langsamer fliegen. Eine andere Möglichkeit ist, Gebiete zu umfliegen, in denen sich vermehrt Kondensstreifen bilden. Auch lange Strecken im Formationsflug könnten Treibhausgase einsparen und die Bildung von Kondensstreifen verringern. Hierfür wären lediglich Lösungen im Bereich der Flugsteuerung und des Luftverkehrsmanagements nötig.
Und welche technischen Neuerungen kämen zur Schonung des Klimas in Betracht?
Häßy: Heutige Luftfahrt-Gasturbinen können durch größere Fans, neue Materialien, wie Keramiken oder weiterentwickelte Kühltechnologie, effizienter werden und weniger Treibhausgase ausstoßen. Außerdem können nachhaltige Kraftstoffe, sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAFs), eingesetzt werden. Sie führen zu einem geschlossenen Kohlenstoffkreislauf, da sie bei der Verbrennung nur das CO2 freisetzen, das bei der Kraftstoffherstellung gebunden wurde. Der Einsatz von Wasserstoff als Treibstoff macht einen Luftfahrtantrieb
kohlenstofffrei. Wasserstoff wird entweder in einer Fluggasturbine verbrannt oder in einer Brennstoffzelle elektrochemisch umgesetzt. Allerdings sind hierfür viele Neuerungen nötig. Ein Beispiel sind andere Tanks, denn flüssiger Wasserstoff hat im Vergleich zu Kerosin ein höheres Volumen und muss bei extrem niedrigen Temperaturen gelagert werden.
Dahlmann: Außerdem können neu ausgelegte Flugzeugflügel den Treibstoffverbrauch verringern. Das würde einen tieferen Flug schon wesentlich kosten- effizienter machen. Etwas teurer wird es dennoch bleiben. Politische Vorgaben, zum Beispiel der Handel mit Emissionszertifikaten, könnten das in der Praxis leichter umsetzbar machen und Anreize für Airlines schaffen.
Ist die Corona-Pandemie ein guter Zeitpunkt, um Innovationen voranzutreiben?
Dahlmann: Im April 2020 gab es pandemiebedingt 90 Prozent weniger Passagier-Luftverkehr, das heißt weniger CO2, Ozon und Kondensstreifen, also kurzfristig weniger Klimawirkung. Um unser Klima zu schützen, brauchen wir langfristige Effekte. Ich denke, die Fridaysfor-Future-Kampagne und die Unwetter im Sommer 2021 haben die Problematik ins Bewusstsein der Gesellschaft gebracht. Auch wenn die Pandemie die gesamte Luftfahrtbranche schwer getroffen hat, ist jetzt ein wichtiger Zeitpunkt zum Umdenken.
Frau Dahlmann, im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist oftmals vom CO2 als Verursacher die Rede. Eingangs erwähnten Sie auch andere Einflüsse. Welche Effekte haben diese?
Dahlmann: Neben CO2 entstehen auch Stickoxide (NOx) bei der Verbrennung von konventionellem Treibstoff. Diese reagieren mit Sauerstoff und erhöhen die Ozonproduktion. In der Stratosphäre schützt die Ozonschicht die Lebewesen auf der Erde vor zu viel Sonneneinstrahlung. In tieferen Atmosphärenschichten, genaugenommen der oberen Troposphäre, in der der heutige Luftverkehr stattfindet, wirkt Ozon allerdings erderwärmend. Außerdem ist die Wirkung von
Kondensstreifen nicht zu unterschätzen. Sie sind nichts anderes als Wolken und halten die Wärme in der Atmosphäre.
Herr Häßy, haben Sie schon Pläne für Antriebssysteme, die auch diese Probleme lösen könnten?
Häßy: Eine Gasturbine, die ausschließlich mit Wasserstoff angetrieben wird, erzeugt kein CO2, sondern hauptsächlich Wasserdampf. Außerdem könnten weniger Stickoxide als bei der Verbrennung von konventionellen oder synthetischen Kraftstoffen entstehen. Es bilden sich außerdem keine Rußpartikel und somit auch weniger Kondensstreifen. Wenn Wasserstoff in Brennstoffzellen umgesetzt wird, könnten NOx-Emissionen sogar vollständig entfallen.
Ist Wasserdampf nicht ein starkes Treibhausgas?
Dahlmann: Stimmt. Allerdings hat er in der oberen Troposphäre nur eine kurze Verweildauer. Erst in größeren Höhen steigt diese an und entfaltet so eine höhere Klimawirkung. Wasserstoffdirektverbrennung erzeugt zwar mehr Wasserdampf, Studien zeigen aber, dass dieser gerade mal zehn Prozent der Klimawirkung ausmacht. Den Einfluss untersuchen wir zurzeit mit unserem Klimamodell AirClim.
Heutige Flugzeuge funktionieren alle ähnlich mit altbewährten Luftfahrtgasturbinen. Wie kann man neue Technologien so einsetzen, dass Ticketpreise weiterhin erschwinglich bleiben?
Häßy: Derzeit ist noch nicht ganz klar, welche Technologie sich wo bewährt. Aktuell gehen wir davon aus, dass Brennstoffzellen sich eher dazu eignen, kleine Kurzstreckenflugzeuge anzutreiben. Für die Mittel bis Langstrecke könnte sich die Verbrennung von Wasserstoff in Gasturbinen durchsetzen. Die kurzfristige Alternative wären SAFs. Aktuell verursacht der Kraftstoff circa 20 bis 30 Prozent der Betriebskosten eines Verkehrsflugzeugs. SAFs werden diese Kosten zunächst steigern. Das DLR arbeitet aber an Möglichkeiten, diese wieder zu senken. Das ginge beispielsweise über eine andere Flotteneinsatzplanung. Kürzere Strecken könnten die Airlines mit kleineren, effizienteren und voll ausgelasteten Flugzeugen zurücklegen. Die Ticketpreise werden sich aber mit Sicherheit erhöhen.
Und hat CO2 bei der Verbrennung von nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAFs) oben in der Atmosphäre nicht auch andere Effekte als am Boden, so wie Ozon?
Dahlmann: Nein, CO2 verteilt sich durch die sehr lange Lebenszeit gleichmäßig in der Atmosphäre.
Wenn sich die Flugzeuge so verändern, muss sich die Infrastruktur, beispielsweise Flughäfen, nicht auch anpassen?
Papantoni: Je mehr Flugzeuge mit Wasserstoff betrieben werden, desto größer wird auch die benötigte Menge. Lkw können kleinere Mengen Wasserstoff zum Flughafen transportieren. Bei steigendem Bedarf wird der Ausbau eines entsprechenden Versorgungsnetzes nötig. In Regionen mit einem hohen Potenzial an erneuerbaren Energien würde sich eine Elektrolyse direkt vor Ort rechnen.
Wie viel Wasserstoff wird benötigt, um große Flotten zu betanken?
Häßy: Der Energiegehalt von Wasserstoff pro Kilogramm Treibstoff ist circa drei Mal so hoch wie der von Kerosin. Im Jahr werden in Deutschland ungefähr zehn Millionen Tonnen Kerosin benötigt. Dementsprechend bräuchte man ein Drittel davon an Wasserstoff. Aber die Bereitstellung in Deutschland alleine reicht nicht aus, auch die Zielflughäfen müssten über eine Wasserstoff-Infrastruktur verfügen.
Wie kann genug Wasserstoff für einen weltweiten Luftverkehr nachhaltig und wirtschaftlich produziert werden?
Papantoni: Nicht nur die Luftfahrt benötigt Wasserstoff, sondern auch Branchen, die anders kaum zu dekarbonisieren sind, wie die Stahl- und Chemieindustrie oder die Schifffahrt. Dafür müsste die Produktion erneuerbarer Energien ausgebaut werden. Das Energiesystem müsste effizienter werden. Regionen mit wenig Wind oder Sonne werden allerdings auf Importe angewiesen sein. Eine höhere Bepreisung von CO2, zum Beispiel durch den EU-Emissionshandel, wird Wasserstoff als alternativen Energieträger attraktiver machen.
Welche Umweltauswirkungen hat es, Wasserstoff per Elektrolyse zu produzieren? Ist es nicht ineffizient, wenn SAFs und Wasserstoff erst aufwändig erzeugt werden müssen?
Papantoni: Die Klimawirkung ist nur ein Teil der Umweltwirkung. Die Erzeugung von Wasserstoff benötigt Strom, Wasser und die entsprechenden Anlagen. Für ein Kilogramm benötigt man bis zu 18 Liter besonders reines Wasser. Wir müssen also beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft beachten, dass genug Wasser vorhanden ist. Außerdem untersuchen wir Umweltwirkungen, die beim Abbau der Rohstoffe für die Anlagen entstehen. Für leicht zu elektrifizierende Anwendungen wie Pkw sind SAFs und Wasserstoff wahrscheinlich weniger relevant. Für Langstreckenflüge oder maritime Anwendungen sind diese Energieträger eine öko-effiziente Alternative. Es gibt auch Synergieeffekte bei der Herstellung von SAFs und Wasserstoff. Saisonabhängig kann die Menge der zu erzeugenden erneuerbaren Energien schwanken. Es ist möglich, überschüssigen Strom in Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen zu speichern.
Wie schaffen Sie es als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, das alles so genau vorherzusehen?
Häßy: Flugzeuge sind sehr komplexe Systeme, denn zwischen den einzelnen Komponenten bestehen viele Abhängigkeiten. Im DLR gibt es Fachleute für die jeweiligen Systeme und Disziplinen. Die Schwierigkeit besteht darin, alles Wissen zu bündeln und als Einheit nutzbar zu machen. Im Projekt EXACT entwickeln wir eine Software, die die Fähigkeiten der unterschiedlichen DLR-Institute vereint. Wir bewerten so eine ganze Bandbreite an Szenarien mit verschiedenen Antriebskonzepten und Flugzeugtypen bis hin zu deren Klimawirkung. Erkenntnisse aus dem Projekt könnten der Industrie helfen, sich für oder gegen eine Technologie zu entscheiden.
Dahlmann: Mit unserem AirClim-Modell ermitteln wir die Änderung der globalen bodennahen Temperatur aufgrund von Emissionen und Kondensstreifen. In Verbindung mit anderen DLR-Softwaretools evaluieren wir mögliche Lösungsansätze, wie der Einfluss des zukünftigen Luftverkehrs auf den Klimawandel trotz steigender Verkehrszahlen reduziert werden kann.
Papantoni: Neben der Klimawirkung durch Emissionen untersuchen wir in EXACT auch die Umweltwirkung, die beim Betrieb der Flugzeuge entsteht oder bei ihrer Produktion. Dazu erstellen wir eine sogenannte Ökobilanzierung, die Energie- und Materialflüsse über den gesamten Lebenszyklus analysiert. Damit können wir abschätzen, welche Belastungen für das Ökosystem oder die menschliche Gesundheit zu erwarten sind.