Am 13. Juni 1886 starb König Ludwig II. von Bayern. Schon zwei Monate später strömte das neugierige Volk durch sein „Bayerisches Versailles“, auch durch seine Privatgemächer, in denen er selbst nur wenige Tage verbracht hatte. Möglich war das, weil ab 1860 die Eisenbahn bis Salzburg fuhr und den Münchnern eine komfortable Reise an den Chiemsee erlaubte. Dampfschiffe gab es auf dem „Bayerischen Meer“ schon seit 1848, und die Chiemseebahn, eine kleine Dampfeisenbahn, schloss 1887 die Lücke zwischen Bahnhof und Hafen in Prien. Noch heute fahren Gäste in den originalen Salonwägen, und wer einmal den melodischen Pfeifton der Lokomotive gehört hat, vergisst ihn nicht mehr.
Neben dem Prunkschloss mit knapp 450.000 internationalen Besuchern pro Jahr zieht auch das ehemalige Augustiner Chorherrenstift, das „Alte Schloss“, viele Besucher an. Die „Blauen Zimmer“ des Königs, Verfassungsmuseum und Chiemseemaler-Galerie sowie die restaurierten alten Säle des Klosters, vor allem der Kaisersaal mit seiner Illusionsmalerei, gehören zu den Sehenswürdigkeiten auf der Insel.
Acht Kilometer lang ist der schattige Weg, der einmal rund um die Insel führt. Die Aussichtsplätze Ottos Ruh und Pauls Ruh, eine mittelalterliche Wallanlage, die Kreuzkapelle, die Brunnen im Schlosspark, die den Göttinnen Fama, Fortuna und Latona gewidmet sind – für die mehrstündige Tour sollten genügend Pausen eingeplant werden. Zwei weitere Wege mit vier und sechs Kilometern sind ebenfalls ausgeschildert.
Zu den Naturschätzen der Insel zählen alte Bäume wie ein großer Tulpenbaum und eine seltene geschlitztblättrige Buche nahe des Alten Schlosses. Wie der gesamte Baumbestand der parkähnlichen Insel waren sie vor rund 150 Jahren in großer Gefahr, wie die nachfolgende Chronik zeigt.
Chronik der Herreninsel
770 gründete Bayernherzog Tassilo III., ein Vetter Karls des Großen, eine Benediktinerabtei auf der Herreninsel im Chiemsee (sowie wenig später ein weiteres Kloster auf der Fraueninsel). Im 10. Jahrhundert ist sie offenbar den Ungarneinfällen zum Opfer gefallen.
Kurz vor 1130 gründete Erzbischof Eberhard I. von Salzburg einen neuen Konvent auf der Insel, diesmal ein Augustiner-Chorherrenstift. Im Jahr 1216 erhob Eberhard II. von Salzburg Herrenchiemsee zum Bistum, die Stiftskirche erhielt den Rang einer Kathedrale.
1803 beendete die Säkularisation das klösterliche Leben auf der Herreninsel. Das Kloster wurde aufgehoben, die Insel an eine Privatperson verkauft. Chor und Türme der Stiftskirche wurden 1807 abgerissen und im Kirchenschiff eine Brauerei eingerichtet. Die Kirche ist seitdem fast vollständig zerstört.
1840 bis 1870 war Graf Paul Maria Vogt von Hunolstein Besitzer der Insel. Die beiden Aussichtsplätze „Pauls Ruh“ und die nach seinem Sohn benannte „Ottos Ruh“ gehen auf ihn zurück.
1872 begann ein Konsortium württembergischer Holzspekulanten mit der Abholzung des alten Baumbestands. Einheimische wandten sich mit einem Eilbrief an König Ludwig II. (1845-1886).
1873 erwarb der junge König die Insel für 350.000 Gulden als Standort für sein neues Schloss und stoppte damit den Kahlschlag.
Am 21. Mai 1878 erfolgte nach insgesamt 13 Planungsphasen die Grundsteinlegung für das Schloss nach dem Vorbild von Versailles in Frankreich. Denn es sollte ein „Tempel des Ruhmes“ für König Ludwig XIV. von Frankreich werden, den der bayerische Monarch grenzenlos verehrte.
Beim Tod des Königs am 13. Juni 1886 war das Schloss noch nicht vollendet. Teile davon wurden abgetragen. Im August desselben Jahres machte die Nachlassverwaltung die Prunkräume der Öffentlichkeit zugänglich. 33.000 Besucher zählte das Schloss in seinem ersten Jahr, heute sind es knapp 450.000.
Der „Herrenchiemsee-Bericht“ war die im Alten Schloss erarbeitete und am 23. August 1948 von den Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder genehmigte Arbeitsgrundlage für das Deutsche Grundgesetz. Im Alten Schloss erinnert das „Verfassungsmuseum“ an die Geschehnisse. Es ist ganzjährig geöffnet.
Seit 1987 ist im Südflügel des Schlosses das König-Ludwig-Museum untergebracht. Es widmet sich in zwölf Räumen den Lebensstationen des „Märchenkönigs“ und zeigt zahlreiche Exponate von Taufkleid bis Totenmaske. Es ist wie das Schloss ganzjährig geöffnet.
2019 beschloss die Bayerische Staatsregierung die Wiederherstellung des Inseldoms, um ihn anschließend als Museum für die Öffentlichkeit freizugeben.
Weitere Zahlen zur Herreninsel:
- Rund 4,5 Kilo Blattgold sind in den Innenräumen des Schlosses Herrenchiemsee verarbeitet.
- 16,6 Millionen Mark kostete das Schloss bis zum Tod des Königs; es war damit teurer als Linderhof und Neuschwanstein zusammen.
- Knapp 450.000 Menschen aus aller Welt besuchen jährlich das Prunkschloss.
- Etwa 30 Menschen leben ganzjährig auf der Insel. Sie arbeiten im Schloss, in den Stallungen der rund 30 Kutschpferde oder in der Gartenverwaltung.
- 35.000 Stiefmütterchen werden jährlich im Gewächshaus auf der Insel gezogen und im Frühling im Schlosspark gepflanzt. Bei der Gestaltung der Beete orientieren sich die Gärtner eng an historischen Vorgaben.
- Im Sommer fahren die Schiffe von Prien aus halbstündlich, im Winter stündlich zu den Chiemsee-Inseln. Die Fahrt dauert rund 15 Minuten. Im Sommerhalbjahr sind auch die Orte Bernau, Seebruck, Chieming und Übersee angebunden. Für die kurze Fahrt zur Fraueninsel ist der ganzjährige Hafen Gstadt ideal.
- Der Eintritt für Schloss und Museen auf der Herreninsel kostet neun Euro (Stand 2021, ohne Schifffahrt)