Der Gedanke, nur eine Entscheidung von einem Abenteuer entfernt zu sein, hatte mich schon immer gereizt. Und im Frühjahr 2022, nach der Pandemie, fragte ich mich selbst: Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich folgte der spontanen Eingebung. Ich entschied mich dazu, ein Urlaubssemester einzulegen, kündigte meinen Nebenjob und suchte einen Untermieter für meine Wohnung. Dann buchte ich einen Flug nach Thailand – offene Route, offenes Ende.
Meine wichtigsten Besitztümer waren eine Kreditkarte, mein Handy und der Reisepass. Alles, was ich bei mir hatte, passte in einen 13kg schweren Rucksack. Mein Weg führte mich vom Norden Thailands aus nach Vietnam und von dort nach Kambodscha. Vor ein paar Tagen ging es über die Grenze zurück nach Bangkok, zurück in das Land des Lächelns.
Es ist Anfang Dezember 2022, die Luft ist heiß und feucht und die Motoren der Autos und Roller um mich herum dröhnen. Noch immer bin ich fasziniert von der Größe der acht Millionen Metropole, von ihren Menschen und der pulsierenden Atmosphäre. Begeistert und mit offenen Armen und Augen tauche ich in das bunte Leben ein …
… Auf der Suche nach einer Postkarte streife ich durch Bangkoks Chinatown. Ich habe es nicht eilig, lasse mich von den Menschen auf den Straßen und dem dichten Verkehr treiben. Einer Eingebung folgend, biege ich von der Hauptstraße ab und folge dem Netz aus Gassen immer tiefer ins schlagende Herz der Metropole.
Ein Thai im Schatten eines Verschlags folgt mir mit dem Kopf, als ich vorübergehe. Mir fällt auf, dass ich schon länger keine Touristen mehr gesehen habe. Mir kommt der Gedanke, dass ich vielleicht etwas leichtsinnig die geschäftige Gegend verlassen habe, als ich lauter werdendes Stimmengewirr vernehme – und plötzlich finde ich mich inmitten von Trubel, schwer beladenen Tischen, überquellenden Ladenstellen und feilschenden Verkäufern wieder.
Fahles Licht fällt durch die bunten Planen, die über den Köpfen der Menschen gespannt sind. Es ist helllichter Tag, doch nur wenig Sonnenschein dringt in die Gasse zwischen den beklemmenden Wänden der meterhohen Gebäude.
„Sa Wad Dee Krab!“, heißt mich ein Fremder Willkommen und grinst mich an, als wisse er genau, dass ich mich verirrt habe. Das dumpfe Gefühl von zuvor ist mit einem Mal verflogen und begeistert lasse ich mich vom Strom der Marktbesucher mitziehen.
Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst blicken soll! Meine Augen schweifen von einer zur anderen Seite, während mein Gehirn Schwierigkeiten hat, alle Eindrücke zu sortieren. Zwischen bunten Früchten, die ich auf meiner Reise kennenglernt habe, wie Drachenfrucht, Papaya oder Gojibeeren, entdecke ich exotische Obstsorten, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe.
Einen Stand weiter gibt es säckeweise Nüsse zu kaufen. Cashews, Mandeln und geröstete Kürbiskerne. Daneben werden gedörrte Mangos, Datteln und Sternfrüchte angeboten, sowie getrocknete Hibiskusblüten. Neben Teeblättern und frischem Gemüse häuft sich gelber Tofu auf einem Teller. Letzterer erinnert mich daran, was man mir beim Kochkurs beigebracht hat: Der gelbe Tofu würde sich vom Weißen geschmacklich nicht unterscheiden, die Thais zögen ihn aus einem einzigen Grund dem anderen vor: um ihren Gerichten Farbe zu verleihen – weil sie das Bunte lieben.
In was für einem faszinierenden Paralleluniversum bin ich hier gelandet?
Ein Blick auf Google Maps zeigt mir, dass der Markt auf der Karte nicht verzeichnet ist. Nach den Gesichtern von Touristen und anderen Backpackern suche ich vergebens und falls mir doch einer über den Weg laufen sollte, so hat es ihn mit Sicherheit genauso unversehens hierher verschlagen wie mich.
Ein fischiger Geruch steigt mir in die Nase und kurz darauf finde ich den Ursprung des intensiven Dufts. Auf dem nächsten Tisch häufen sich Schweinefüße, kopflose Hühnchen und ausgenommene Fische. Daneben steht eine Einheimische und rührt mit einem Stück Holz von der Größe eines Unterarms in einer brodelnden Brühe aus Gemüseknollen. Ich bin so überwältigt von allen Eindrücken, dass ich beinahe einen pinken Plastikeimer umtrete, in dem sich auf den ersten Blick undefinierbare, glitschige Lebewesen rekeln.
Igitt, denke ich belustigt und eile schnell weiter. Hinter mir ertönt ein Knattern und kurz darauf das Hupen eines Motorrads. Die Leute drängen zur Seite, um den voll beladenen Roller zwischen den dicht aufgereihten Ständen hindurchzulassen. Auch ich weiche zurück und stoße dabei gegen einen klapprigen Blechtisch, auf dem sich handbemaltes Porzellan in Form von Schüsseln, Tellern und Suppenlöffeln stapelt.
Ich will mich bei dem Besitzer für die Beinahe-Panne entschuldigen, doch auf seinen Lippen liegt ein liebenswürdiges Lächeln und seine Augen strahlen Wärme und Herzlichkeit aus. Mit einer einladenden Handbewegung fordert er mich auf, näher an den Tisch heranzutreten, der sich unter dem Gewicht der Waren biegt.
Ich lehne ab, da meine Aufmerksamkeit schon von dem nächsten Händler auf sich gezogen wird, der zu mir herüberkommt und mir eine Kostprobe seiner Gebäckauswahl anbietet. „Khob Khun Ka!“, bedanke ich mich.
Eine streunende Katze schleicht vor mir über die Straße und verschwindet zwischen prall gefüllten Körben. Ich muss lächeln, denn eine Katze hat noch gefehlt, um dieses authentische Erlebnis abzurunden.
Am Ende der Gasse erweckt der Stand einer buckeligen Frau mein Interesse, die selbstgemachte Glücksbringer anbietet. Fasziniert trete ich näher an den Tisch heran. Die Anhänger bestehen aus Jade und einem Bändchen, das in Form einer zierlichen Blume geflochten ist. Die Alte schenkt mir ein zahnloses Lächeln, deutet auf ihre Auswahl und sagt etwas auf Thai. Ich verstehe sie nicht, doch das ist nicht weiter wichtig, denn ihre Herzlichkeit begreife ich auch so.
Für 30 Baht, umgerechnet weniger als 1 Euro, suche ich mir einen der Anhänger aus und verstaue ihn im Münzfach meines Portemonnaies. Er wird mich für immer an diese unverhoffte Entdeckung erinnern. Erst als ich zurück auf die Hauptstraße trete und in das Gewusel von Bangkoks Feierabendverkehr eintauche, fällt mir auf, dass ich noch immer keine Postkarte gefunden habe.
Text und Bilder: © Louisa Dormann