Mit einem noch nie da gewesenen Einbruch bei Reiseausgaben und Anzahl der Reisenden beendet die deutsche Reisewirtschaft das Touristikjahr 2019/2020 (31. Oktober) und startet in ein ungewisses, nicht berechenbares Reisejahr 2021 – so die Bilanz für das vergangene Urlaubsjahr, die der Deutsche Reiseverband (DRV) heute im Vorfeld der Anfang März stattfindenden internationalen Reisemesse ITB Berlin vorlegt. Wurden von den Deutschen im Rekordjahr 2019 noch 69,5 Milliarden Euro für Reisen ausgegeben, waren es im Corona-Jahr nur noch knapp 32 Milliarden Euro – ein Rückgang um 54 Prozent. Dies belegen die Auswertungen des Marktforschungsunternehmens GfK für den DRV und beziehen sich auf Urlaubs- und Privatreisen ab mindestens einer Übernachtung, die vorab vor Reiseantritt gebucht wurden.
Von den 32 Milliarden Euro Reiseausgaben entfielen 12,5 Milliarden Euro auf die organisierte Reise – also die Pauschal- und Bausteinangebote der Reiseveranstalter. Das ist ein Rückgang um 65 Prozent bzw. 23 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr (35,4 Milliarden). „Damit fällt der Umsatz auf ein Niveau von vor über 30 Jahren zurück. Der organisierte Reisemarkt hat besonders stark unter der Pandemie gelitten“, macht der Präsident des Deutschen Reiseverbandes, Norbert Fiebig, auf die Dimension des historischen Einbruchs aufmerksam. „Zwei Punkte sind entscheidend“, ergänzt Fiebig. „Die Überbrückungshilfe III ist für den Vertrieb erstens nicht ausreichend. Dass die Reisebüroprovisionen auf Basis des Bezugsjahrs 2019 nicht Teil der Hilfen sind, ist ein struktureller Webfehler. Dieser muss nach wie vor behoben werden. Zweitens müssen die Überbrückungshilfen – falls der Restart nicht sehr rasch möglich ist – intelligent verlängert werden, um die Strukturen der Reisewirtschaft zu sichern.“
Die Ausgaben für selbstorganisierte Reisen – also ohne Reiseveranstalter – sanken um 43 Prozent auf 19,5 Milliarden Euro. Damit wurden erstmals nur 39 Prozent der Privat- und Urlaubsreisen über Reiseveranstalter gebucht – bislang lag der Anteil organisierter Reisen seit Jahren bei über 50 Prozent. Dieser Rückgang resultiert aus der 2020 vermehrten Reisetätigkeit innerhalb Deutschlands und den angrenzenden Ländern wie Österreich. Diese Reisen organisieren Urlauber zumeist individuell und ohne Reisebüro oder Veranstalter.
Besonders drastisch sanken im vergangenen Jahr die Ausgaben in der für den Tourismus überaus wichtigen Sommersaison – von 46 Milliarden Euro im Vorjahr um 64 Prozent auf 16 Milliarden Euro. „Für die rund 100.000 Beschäftigten bei Reisebüros und Reiseveranstaltern bedeutet dies ein Bangen um Arbeitsplätze und um Existenzen – zahlreiche Anbieter und Vermittler mussten in den vergangenen Wochen bereits aufgeben und Insolvenz anmelden“, so DRV-Präsident Norbert Fiebig.
Mit der Öffnung europäischer Reiseziele im Sommer wurde auch wieder vermehrt gereist – trotzdem konnte das die massiven Rückgänge aus den ersten Monaten nicht ausgleichen: Die Anzahl der Reisen sank um über ein Drittel auf insgesamt 152 Millionen. Deutschland war dabei nach den GfK-Auswertungen für den DRV als Reiseziel in Ermangelung der weltweiten Reisemöglichkeiten zwar anteilig stärker gebucht, verzeichnete aber dennoch ein deutliches Minus und lag unter den Zahlen von 2019. Die am stärksten nachgefragten Reiseziele innerhalb Deutschlands waren nach Angaben des DRV-Ausschusses Marktforschung die Nord- und Ostseeküste und auch Bayern – in Folge waren zum Teil übervolle Strände und Wanderwege zu beobachten.
Kreuzfahrten: Die Ausgaben gehen um 60 Prozent zurück
Für Kreuzfahrten insgesamt (Fluss- und Hochseekreuzfahrten) gaben die Deutschen laut GfK-Auswertungen rund 2,4 Milliarden Euro aus – ein massiver Rückgang um 60 Prozent vor dem Hintergrund, dass dieses Segment in den vergangenen Jahren immer der wachstumsstärkste Bereich der Touristik war. Dabei waren die Rückgänge bei den Flusskreuzfahrten mit 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 300 Millionen Euro noch stärker als für Reisen auf den Meeren (minus 59 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro). Verreisten 2019 noch insgesamt 3,7 Millionen Menschen in Deutschland mit einem Kreuzfahrtschiff waren es im vergangenen Jahr nur noch rund 1,4 Millionen – davon fast 1,1 Millionen auf der Hochsee und etwas mehr als 300.000 Passagiere auf Flüssen.
Obwohl derzeit viele internationale Ziele nicht oder nur schwer zu bereisen sind, wird sich dies nach aktueller Einschätzung langfristig nicht in einer grundsätzlichen Änderung des Reiseverhaltens niederschlagen. Laut einer aktuellen Umfrage der GfK im Februar 2021 hat sich an der Beliebtheit von Destinationen wenig geändert. So wollen die Befragten in den nächsten Jahren neben Deutschland unter anderem auch wieder die Balearen, Griechenland, Italien, die Kanaren, Österreich und andere weltweite Ziele bereisen.
Ein dauerhaftes Ausbleiben von Touristen hätte dramatische Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Menschen in den jeweiligen Ländern, denn viele Zielgebiete leben fast ausschließlich vom Tourismus. Weltweit hängen rund 330 Millionen Stellen am Tourismus. Das Ausbleiben der Touristen führt zu sozio-ökonomischen Schäden in den Zielgebieten – etwa steigende Armut, zunehmende Alltagskriminalität, vermehrte Wilderei. Für viele Menschen in den Urlaubsländern bedeutet der Zusammenbruch des Tourismus durch die Pandemie, dass sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Familie ernähren sollen – nicht nur in weniger entwickelten Ländern, sondern bspw. auch auf der beliebten Urlaubsinsel Mallorca, wo schon jetzt laut einer Studie der Universität der Balearen ein Drittel der Bevölkerung als arm gilt.
Quellenangabe GfK:
Die Angaben zu Reisen und Umsätzen im mehrtägigen Urlaubs- und Privatreisemarkt stammen aus dem Konsumentenpanel (MobilitätsMonitor) des Marktforschungsunternehmens GfK. In diesem werden monatlich ca. 18.000 repräsentativ ausgewählte Haushalte in Deutschland mit ca. 36.000 Personen zu ihrem Reise-, Buchungs- und Informationsverhalten befragt.
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