Teufelsberg Berlin Blick Grunewald
Das Dach der früheren Abhöranlage auf dem 120 Meter hohen Teufelsberg ist für Besucher zugänglich und bietet einen fantastischen Ausblick über den Grunewald. Bild: Renzo Vanden Bussche/Unsplash

Der Teufelsberg in Berlin – Ausflug in eine längst vergangene Zeit?

Berlin heißt unser Ziel. Schon immer hat diese Stadt mich fasziniert. Vor vielen Jahren hatte ich mich das erste Mal aufgemacht, allein, mit meinem winzigen, armee-grünen Suzuki Jeep, offenes Verdeck, Musikanlage voll aufgedreht, über die holprige fast 300 km lange Transitstrecke durch die damals noch existierende DDR. Dann standen sie vor mir, mit Kalaschnikows und finsterer Miene überprüften die ostdeutschen Grenzer meinen mausgrauen, westdeutschen Personalausweis, noch aus Pappe, und stellten auch noch das mehr als übersichtliche, kleine Auto halbwegs auf den Kopf, bevor der Schlagbaum in die Höhe ging.
Ungeduldig, aber langsam und im Zickzack fahrend, durchkurvte ich vor fast vierzig Jahren die einschüchternden Sicherungsanlagen, bevor mich das gelbe Ortschild endlich willkommen hieß. Berlin! Geteilte Stadt, heute kaum noch vorstellbar. Wo gibt es das sonst auf der Welt? Eine Mauer, wie ein schmerzhafter Riss durch etwas, was eigentlich zusammen gehört. Zwei Metropolen, zwei politische Systeme, wie sie nicht unterschiedlicher sein können, aber ein Volk, eine Sprache, eine gemeinsame Vergangenheit- getrennt durch ein allgegenwärtiges Bollwerk. Aufgeregt und neugierig durchstreifte ich die Stadt, immer wieder stieß ich auf den bedrohlichen Wall aus grauen Betonplatten, den schmalen Grenzstreifen davor, die Wachtürme. Über vier Meter hoch und mehr als 150 km lang, trennte die Mauer die Stadt in zwei ungleiche Hälften. Ost und West.

Berlin- einst durch eine Mauer in Ost und West geteilt

Heute ist es Berlins moderner Hauptbahnhof, vierzehn Ebenen, lichtdurchflutet, Glas und Beton, der uns willkommen heißt. Die Deutsche Bahn fährt meine Freundin und mich bequem in weniger als zwei Stunden von Hamburg bis ins Herz von Berlin. Seit über dreißig Jahren nun geeinte Stadt. Unzählige Rolltreppen, kreuz und quer, bringen uns aus der untersten Ebene des Bahnhofs nach oben. Quirliges Leben, Reisende aus aller Herren Länder schieben sich aneinander vorbei.
Radarkuppel ehemalige Abhörstation Teufelsberg
Panoramablick auf Berlin vom Hauptgebäude der ehemaligen Abhörstation mit der markanten Radarkuppe auf dem Teufelsberg in Berlin. © Oliver Erdmann
In Berlin ist es meist kühler, als bei uns an der Elbe. Mildes Küstenklima hier und kalter Ostwind dort, zum Glück schaut wenigstens die Sonne ab und zu zwischen den Wolken hervor. Wir knöpfen die Jacken zu, ziehen die Schals fester und machen uns zu Fuß auf den Weg zu unserer Unterkunft übers Wochenende, zentral gelegen gleich hinter dem Finanzministerium. Wir marschieren los. Über die neue Fußgängerbrücke, die den Spreebogen überspannt, an Kanzleramt und Reichstag vorbei. Mein Trolley rattert hinter mir her. Ein Weg, wie er bei meinem ersten Berlinbesuch nicht möglich gewesen wäre. Hier wäre jetzt schon Schluss gewesen, unmittelbar hinter dem Reichstagsgebäude war West- Berlin damals bereits zu Ende. Die Mauer versperrte die Sicht auf das Brandenburger Tor, man musste auf eine extra auf der Westseite errichtete Besucherplattform klettern, um wenigstens einen Blick darauf zu erhaschen. Viel war allerdings nicht zu sehen. Eine trostlose Asphaltfläche, ein Wachturm, Grenzer mit Ferngläsern, die misstrauisch gen Westen äugten. Sonst nichts. Eine traurige Ödnis mitten in Berlin. Und heute? Wir laufen über den Pariser Platz, zwischen den Säulen hindurch, über uns strahlt die Quadriga im hellen Morgenlicht. Selbsternannte Stadtführer mit bunten Fähnchen bieten kostenlose Sightseeing Touren an, wir sind umzingelt von kleinen Touristengrüppchen und ein liebevoll restaurierter, roter DDR Kleinbus, Modell Barka von Wartburg, lädt zu einer „Ostalgietour“ ein.

Der Teufelsberg: einer der höchsten Erhebungen Berlins, entstanden aus den Trümmern der Stadt

Am nächsten Tag geht es los, wir wollen den Teufelsberg erklimmen. Ein ca. 120 m hoher Hügel im Westen Berlins, am nördlichen Ende des Grunewalds, Bezirk Charlottenburg. Den gab es aber noch nicht immer. Während der Nazizeit entstand an dieser, damals noch flachen, Stelle der Rohbau der Wehrtechnischen Fakultät, Teil des wahnwitzigen Traums einer Welthauptstadt Germania. Sie wurde nie fertiggestellt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Rohbauten gesprengt, größtenteils abgerissen und als Baumaterial für den Wiederaufbau Berlins genutzt. Die Reste wurden ab 1950 mit den Trümmern der zerstörten Stadt wieder aufgefüllt. Jahrzehntelang luden hier hunderte von Lastwagen täglich ca. 7000 Kubikmeter Schutt ab, bis 1972 sollten es insgesamt 26 Millionen werden- das entspricht ungefähr einem Drittel aller im Zweiten Weltkrieg zerstörten Berliner Häuser, ca. 15 000 Gebäude. So wuchsen die Trümmer der Stadt mitten im Grunewald immer weiter in den Himmel, bis aus ihnen eine der höchsten Erhebungen Berlins wurde.

Das ist also die Geschichte des Teufelsberges, der seine Existenz der irren Ideologie eines machthungrigen Despoten namens Adolf Hitler, eines von ihm angezettelten Weltkriegs und der daraus resultierenden Zerstörung einer Millionenstadt verdankt. Seinen Namen hat er aber nicht von diesem teuflischen Diktator geerbt, sondern der leitet sich vom nahegelegenen, idyllischen Teufelssee ab.

Innenansicht Radarkuppel Teufelsberg
Der Verfall der ehemaligen US-amerikanische Abhörstation auf dem Teufelsberg ist auch im Innenbereich der Radarkuppel nicht zu übersehen. © Oliver Erdmann

Im Kalten Krieg nutzte die US-Armee den Gipfel des Teufelsberges als idealen Standort für eine Abhöranlage. Im Laufe der Zeit entstanden so fünf große, runde Antennenkuppeln, mit denen die Amerikaner bis tief hinein in das Gebiet des Warschauers Paktes lauschten, sowie die entsprechenden Gebäude dazu. Aber die Geschichte dieses Berges aus Trümmern und Schutt ist noch nicht zu Ende geschrieben, Perestroika, Glasnost und Wiedervereinigung sei Dank. Silvester 1989 tanzten die Berliner auf der Mauer, der Eiserne Vorhang fiel und der Kalte Krieg schien irgendwann ein Relikt längst vergangener Zeiten zu sein.

1991 verließen die Amerikaner dann schließlich den Teufelsberg, die Spionagestation war für sie nutzlos geworden, den Warschauer Pakt gab es nicht mehr. Die Gebäude blieben stehen, sogar eine neue Radaranlage wurde installiert und ein paar Jahre für die zivile Luftfahrt eingesetzt. Dann war auch das vorbei, die ehemalige Abhöranlage auf dem Gipfel des Teufelsberg wurde sich selbst überlassen.

An der S-Bahnstation Grunewald steigen wir aus, besichtigen erstmal das eher unscheinbare Mahnmal „Gleis 17“, das an die tausenden Juden erinnert, die von hier ihre Reise in den Tod, in die Vernichtungslager von Ausschwitz-Birkenau und Theresienstadt antreten mussten. Die Vegetation hat die Schienen bereits teilweise zurückerobert, nie wieder wird ein Zug von Gleis 17 den Bahnhof verlassen.

Dann gehen wir rüber auf die andere Seite, in den Grunewald, vorbei an der Revierförsterei und lauschigen Kleingärten. Von hier kann man zwischen den Baumwipfeln schon die weißen Kuppeln der alten Abhöranlage erspähen, wie überdimensionale Golfbälle sehen sie aus. Wir überqueren die asphaltierte Teufelsseechaussee und wandern die eng geschlungenen Serpentinen des unbefestigten Wanderweges immer weiter hinauf, auf den Teufelsberg. Geborstene Mauerreste, zerbrochene Ziegelsteine, hier und da noch etwas Keramik, lugen zwischen den spärlich wachsenden Bäumen und Sträuchern aus dem dünnen Erdreich hervor. Auf halber Höhe grüßt uns freundlich ein älterer Herr, er hat sich hier oben sein eigenes kleines Gartenreich geschaffen. Seine Beete sind terrassenartig angelegt, er lockert den widerspenstigen Boden auf, Frühling ist Pflanzzeit. Noch eine letzte Wegbiegung, dann sind wir da. Musik dröhnt uns entgegen, am offenstehenden Eingangstor des umzäunten Geländes steht ein junger Mann an einer improvisierten Kasse, nur Barzahlung. Acht Euro kostet der Eintritt. Wir haben Glück, heute soll es eine Vernissage geben.

Früher moderne Abhörstation der Amerikaner, heute Street Art Gallery mit morbidem Charme

Nicht sofort erschließt sich uns, um was es hier eigentlich genau geht. Ist es nur ein „Lost Place“ mit vielfältigen Fotomotiven und einem tollen Blick über Berlin? Oder ist es doch eher ein Gesamtkunstwerk, mit Street Art und hunderten von bunten Graffitis? Wie auch immer, beeindruckt bin ich auf jeden Fall. Gleich hinter dem Eingangstor hat ein Scherzbold uralte Trimm -dich-Geräte aus den Siebzigern zu einem kleinen Open Air Gym zusammengestellt, trainieren wird dort niemand mehr, zuletzt wahrscheinlich die amerikanischen Soldaten vor vielen Jahrzehnten. Also eher was für ein lustiges Selfie, genauso wie der längst ausrangierte Armeelaster auf der anderen Seite der schmalen Zuwegung. Eine kleine Besuchergruppe hat sich gerade auf der Pritsche zu einem Gruppenbild versammelt, alle strahlen in die Kamera. Die stampfende Musik dringt aus dem Gebäude mit den blinden Fenstern links von uns, da läuft bestimmt die Vernissage. Wir entschließen uns aber, zunächst weiter rauf zur eigentlichen Abhörstation zu gehen. Ich habe extra meine große Spiegelreflex mit nach hier oben geschleppt, um ein paar Fotos zu machen. Es ist halb zwölf, das Gelände hat erst vor einer halben Stunde geöffnet, später wird es dafür bestimmt zu voll.
Teufelsberg Street Art Gallery Graffiti
Ein Teil der Gebäude auf dem Teufelsberg wird als Street Art Gallery mit Graffiti-Kunstwerken genutzt. © Oliver Erdmann
Wir biegen um die nächste Ecke, und ich stehe direkt davor. Das Hauptgebäude der Anlage mit den drei weißen Kuppeln auf dem Dach ragt hoch vor mir auf. Alle Gebäudeteile um mich herum sind mit Graffitis übersät. Ich spüre die Atmosphäre dieses Ortes, es ist eine Mischung aus künstlerischer Energie und Vergänglichkeit. Über eine massive Außentreppe aus Beton arbeiten wir uns an dem hohen, zentralen Gebäude der Abhöranlage hinauf, für das letzte Stück rauf aufs Dach wurde diese allerdings durch neue stählerne Stufen ersetzt, durch die Gitterroste blicke ich bis ganz nach unten durch. Mir wird etwas mulmig, Höhe bringt mich an meine Grenzen. Dann sind wir endlich oben. Der eiskalte Wind pfeift uns um die Ohren, ich hole mit klammen Fingern meine Nikon aus dem Rucksack.

Einzigartige Mischung aus künstlerischer Energie und Vergänglichkeit- dazu mit Panoramablick auf Berlin

Wirklich unglaublich, mir stockt der Atem, es ist nicht nur die grandiose Aussicht auf Berlin, der Fernsehturm auf dem Alex und der Funkturm des Messegeländes sind in der Ferne klar auszumachen, sondern es ist alles zusammen: die besondere Atmosphäre hier oben und das Empfinden, das sich in mir ausbreitet. Die dünne Bespannung der kugelförmigen Antennen ist längst überall eingerissen und flattert laut im Wind, durch die rostigen Metallkonstruktionen ergeben sich fantastische Perspektiven auf die Skyline Berlins. Die Mauern des Gebäudes sind voller bunter Graffitis, Tags und kunstvoll aufgesprühten Bildern. Ich versuche mich in die Zeit hineinzuversetzen, als hier oben die amerikanische Armee den Funkverkehr des Warschauer Paktes überwachte, die Zeit des Kalten Krieges und der Abschreckung. Es gelingt nur schwer. Zu offensichtlich sind der Verfall und die anti-amerikanischen Parolen um mich herum. Auf einer aufgemalten US-amerikanischen Flagge, den Stars and Stripes, sagt Captain America, „America fuck yeah!“, auf der anderen Seite der Fahne antwortet Uncle Sam, „Freedom is the only way, yeah!“ Die Sprache des US Militärs klingt anders.
Street Art Graffiti-Kunst Teufelsberg
Kreative Street Art Graffiti-Kunst auf dem Teufelsberg. © Oliver Erdmann

Meine Gedanken wandern weit zurück, bis in die Nachkriegszeit. Der gigantische Aussichtsturm, auf dem ich stehe, gewachsen aus den Trümmern Berlins. Ein Drittel der damals zerstörten Stadt liegt zu meinen Füßen, aufgeschichtet zu einem Berg, strategisch genutzt in der Zeit des Kalten Krieges. Die beiden Weltmächte USA und Sowjetunion in ständiger Lauerstellung, auch auf diesem Hügel, von wo ich gerade mit der Kamera in der Hand fröstelnd auf mein geliebtes Berlin schaue. Heute weht hier oben allerdings ein anderer Wind, im wahrsten Sinne des Wortes, der „Wind of Change“, um mit den Scorpions zu sprechen.

Und auf einmal erreicht es mich, dieses spezielle Gefühl, und ich spüre, was mich gerade auf dem Gipfel des Teufelsberges umgibt. Es ist der Geist von Frieden, Freiheit und dem Widerstand gegen die Systeme, auf gewisse Art und Weise weltpolitisch und künstlerisch zugleich, geboren aus der Historie dieses Ortes, den unzähligen Künstlern, die hier oben ihre vielfältigen Spuren hinterlassen haben, und auch dem morbiden Charakter der verfallenen Anlage. Überbleibsel einer Zeit, von der wir hofften, dass sie endgültig der Vergangenheit angehören, und die uns jetzt wieder einzuholen drohen.

Eine Weile genieße ich einfach den Ausblick, mache noch ein paar letzte Fotos und gehe eine Etage tiefer. Eine Street Art Ausstellung, Gemälde, großflächig an die Wände gesprüht. Ein Bild gefällt mir besonders gut: Ein Junge zielt mit seiner Zwille auf einen mit Stacheldraht umwickelten Metallzaun, purpurner Hintergrund, „Fuck Your Borders“ steht darüber geschrieben. Überwinde deine Grenzen, deine eigenen und die, die man dir setzen will, die tatsächlichen und die im Kopf. Eine gute Botschaft.

Roman von Oliver Erdmann

Der Reisebericht von Oliver Erdmann hat Euch gefallen und Ihr möchtet gerne mehr von ihm lesen? Dann könnte vielleicht seine erste Buchveröffentlichung, der Roman „Kolumbianische Träume“, genau das Richtige für Euch sein. Der junge Kokabauer Luis aus dem kolumbianischen Hochland, der Drogenboss Carlos aus Medellín und der Hafenarbeiter Maik schmuggeln eine Tonne hochreines Kokain von Südamerika nach Hamburg. Jeder von ihnen hat sein Schicksal selbst in der Hand und muss sich entscheiden, was er bereit ist, auf der Suche nach dem ganz persönlichen Glück auf’s Spiel zu setzen…

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