Berlin- einst durch eine Mauer in Ost und West geteilt
Der Teufelsberg: einer der höchsten Erhebungen Berlins, entstanden aus den Trümmern der Stadt
Am nächsten Tag geht es los, wir wollen den Teufelsberg erklimmen. Ein ca. 120 m hoher Hügel im Westen Berlins, am nördlichen Ende des Grunewalds, Bezirk Charlottenburg. Den gab es aber noch nicht immer. Während der Nazizeit entstand an dieser, damals noch flachen, Stelle der Rohbau der Wehrtechnischen Fakultät, Teil des wahnwitzigen Traums einer Welthauptstadt Germania. Sie wurde nie fertiggestellt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Rohbauten gesprengt, größtenteils abgerissen und als Baumaterial für den Wiederaufbau Berlins genutzt. Die Reste wurden ab 1950 mit den Trümmern der zerstörten Stadt wieder aufgefüllt. Jahrzehntelang luden hier hunderte von Lastwagen täglich ca. 7000 Kubikmeter Schutt ab, bis 1972 sollten es insgesamt 26 Millionen werden- das entspricht ungefähr einem Drittel aller im Zweiten Weltkrieg zerstörten Berliner Häuser, ca. 15 000 Gebäude. So wuchsen die Trümmer der Stadt mitten im Grunewald immer weiter in den Himmel, bis aus ihnen eine der höchsten Erhebungen Berlins wurde.
Das ist also die Geschichte des Teufelsberges, der seine Existenz der irren Ideologie eines machthungrigen Despoten namens Adolf Hitler, eines von ihm angezettelten Weltkriegs und der daraus resultierenden Zerstörung einer Millionenstadt verdankt. Seinen Namen hat er aber nicht von diesem teuflischen Diktator geerbt, sondern der leitet sich vom nahegelegenen, idyllischen Teufelssee ab.
Im Kalten Krieg nutzte die US-Armee den Gipfel des Teufelsberges als idealen Standort für eine Abhöranlage. Im Laufe der Zeit entstanden so fünf große, runde Antennenkuppeln, mit denen die Amerikaner bis tief hinein in das Gebiet des Warschauers Paktes lauschten, sowie die entsprechenden Gebäude dazu. Aber die Geschichte dieses Berges aus Trümmern und Schutt ist noch nicht zu Ende geschrieben, Perestroika, Glasnost und Wiedervereinigung sei Dank. Silvester 1989 tanzten die Berliner auf der Mauer, der Eiserne Vorhang fiel und der Kalte Krieg schien irgendwann ein Relikt längst vergangener Zeiten zu sein.
1991 verließen die Amerikaner dann schließlich den Teufelsberg, die Spionagestation war für sie nutzlos geworden, den Warschauer Pakt gab es nicht mehr. Die Gebäude blieben stehen, sogar eine neue Radaranlage wurde installiert und ein paar Jahre für die zivile Luftfahrt eingesetzt. Dann war auch das vorbei, die ehemalige Abhöranlage auf dem Gipfel des Teufelsberg wurde sich selbst überlassen.
An der S-Bahnstation Grunewald steigen wir aus, besichtigen erstmal das eher unscheinbare Mahnmal „Gleis 17“, das an die tausenden Juden erinnert, die von hier ihre Reise in den Tod, in die Vernichtungslager von Ausschwitz-Birkenau und Theresienstadt antreten mussten. Die Vegetation hat die Schienen bereits teilweise zurückerobert, nie wieder wird ein Zug von Gleis 17 den Bahnhof verlassen.
Dann gehen wir rüber auf die andere Seite, in den Grunewald, vorbei an der Revierförsterei und lauschigen Kleingärten. Von hier kann man zwischen den Baumwipfeln schon die weißen Kuppeln der alten Abhöranlage erspähen, wie überdimensionale Golfbälle sehen sie aus. Wir überqueren die asphaltierte Teufelsseechaussee und wandern die eng geschlungenen Serpentinen des unbefestigten Wanderweges immer weiter hinauf, auf den Teufelsberg. Geborstene Mauerreste, zerbrochene Ziegelsteine, hier und da noch etwas Keramik, lugen zwischen den spärlich wachsenden Bäumen und Sträuchern aus dem dünnen Erdreich hervor. Auf halber Höhe grüßt uns freundlich ein älterer Herr, er hat sich hier oben sein eigenes kleines Gartenreich geschaffen. Seine Beete sind terrassenartig angelegt, er lockert den widerspenstigen Boden auf, Frühling ist Pflanzzeit. Noch eine letzte Wegbiegung, dann sind wir da. Musik dröhnt uns entgegen, am offenstehenden Eingangstor des umzäunten Geländes steht ein junger Mann an einer improvisierten Kasse, nur Barzahlung. Acht Euro kostet der Eintritt. Wir haben Glück, heute soll es eine Vernissage geben.
Früher moderne Abhörstation der Amerikaner, heute Street Art Gallery mit morbidem Charme
Einzigartige Mischung aus künstlerischer Energie und Vergänglichkeit- dazu mit Panoramablick auf Berlin
Meine Gedanken wandern weit zurück, bis in die Nachkriegszeit. Der gigantische Aussichtsturm, auf dem ich stehe, gewachsen aus den Trümmern Berlins. Ein Drittel der damals zerstörten Stadt liegt zu meinen Füßen, aufgeschichtet zu einem Berg, strategisch genutzt in der Zeit des Kalten Krieges. Die beiden Weltmächte USA und Sowjetunion in ständiger Lauerstellung, auch auf diesem Hügel, von wo ich gerade mit der Kamera in der Hand fröstelnd auf mein geliebtes Berlin schaue. Heute weht hier oben allerdings ein anderer Wind, im wahrsten Sinne des Wortes, der „Wind of Change“, um mit den Scorpions zu sprechen.
Und auf einmal erreicht es mich, dieses spezielle Gefühl, und ich spüre, was mich gerade auf dem Gipfel des Teufelsberges umgibt. Es ist der Geist von Frieden, Freiheit und dem Widerstand gegen die Systeme, auf gewisse Art und Weise weltpolitisch und künstlerisch zugleich, geboren aus der Historie dieses Ortes, den unzähligen Künstlern, die hier oben ihre vielfältigen Spuren hinterlassen haben, und auch dem morbiden Charakter der verfallenen Anlage. Überbleibsel einer Zeit, von der wir hofften, dass sie endgültig der Vergangenheit angehören, und die uns jetzt wieder einzuholen drohen.
Eine Weile genieße ich einfach den Ausblick, mache noch ein paar letzte Fotos und gehe eine Etage tiefer. Eine Street Art Ausstellung, Gemälde, großflächig an die Wände gesprüht. Ein Bild gefällt mir besonders gut: Ein Junge zielt mit seiner Zwille auf einen mit Stacheldraht umwickelten Metallzaun, purpurner Hintergrund, „Fuck Your Borders“ steht darüber geschrieben. Überwinde deine Grenzen, deine eigenen und die, die man dir setzen will, die tatsächlichen und die im Kopf. Eine gute Botschaft.
Roman von Oliver Erdmann
Der Reisebericht von Oliver Erdmann hat Euch gefallen und Ihr möchtet gerne mehr von ihm lesen? Dann könnte vielleicht seine erste Buchveröffentlichung, der Roman „Kolumbianische Träume“, genau das Richtige für Euch sein. Der junge Kokabauer Luis aus dem kolumbianischen Hochland, der Drogenboss Carlos aus Medellín und der Hafenarbeiter Maik schmuggeln eine Tonne hochreines Kokain von Südamerika nach Hamburg. Jeder von ihnen hat sein Schicksal selbst in der Hand und muss sich entscheiden, was er bereit ist, auf der Suche nach dem ganz persönlichen Glück auf’s Spiel zu setzen…