Wenn bei Sturm die Fluten steigen, zeigt die Nordsee, welche Kraft sie innehat. Es ist rau und reduziert auf das Rohe; auf Wasser und Wellen, auf Wind und Wolken. Im Herbst und Winter melden die Halligen auch mal „Land unter“ und auch auf den Inseln sowie an der Küste, an Deich und Strand, wirkt das Meer beinahe bedrohlich, wenn die Wellen sich in der Ferne zu Bergen formen. Tosend und donnernd laufen sie auf den Strand und der Mensch braucht einen festen Stand, um Mystik und Magie solcher Tage zu genießen. Doch Sturm und Strand – das hat was! Sich durchpusten lassen mit viel frischer Luft, den Kopf klarkriegen. Sturm ist reinigend und Sturm ist schön. Gerade dann, wenn zum Abschluss wärmendes Wohlgefallen und friesische Gastlichkeit warten. Mittendrin und obendrüber zum Beispiel auf den Pfahlbauten in Sankt Peter-Ording: Diese Häuser auf Stelzen sind einzigartig und prägen das Bild des Seebades, sie trotzen auch hochgehender See. Vor mehr als hundert Jahren wurden sie errichtet und sieben Meter über dem Strand gab es schon damals ein heißes Getränk, einen Imbiss. So wird das bis heute gehalten, wenngleich es in den dortigen Restaurants dieser Tage natürlich mehr gibt als nur eine Kleinigkeit. Und von hier kann man gucken – und genießen, mit Blick auf das Meer und die Dünen. Durchaus kann es vorkommen, dass die Wellen bis an die Dünenkante branden und es „Strand unter“ heißt. Wer an Tagen wie diesen unterwegs ist, möge sich nach der Vorhersage erkunden. Und wer an Tagen wie diesen unterwegs ist, schätzt die Gastlichkeit der Pfahlbauten umso mehr. Der Wind heult und Wellen donnern, Sand fliegt und Kälte prickelt im Gesicht und mit jeder Treppenstufe ist es ein Stückchen Erhabenheit mehr. Aus den Fenstern der gastlichen Stuben fließt warmes Licht in einen düster dämmerigen Tag an der See und drinnen wärmt der Tee. Und die Seele lernt wieder, fliegen über einem weiten, wilden Meer.
Längst hat der Regionalkrimi die Küste entdeckt und Nordsee ist Mordsee. Verschrobene Gestalten sind es und lokales Kolorit, oft gute Plots und ansprechende Beschreibung von Land und Leuten; bei einem guten Buch am Kamin kommt heimelige, gemütliche Stimmung auf, mit Krimis eine schaurig-schöne. Der Wind drückt aufs Reet und die Balken ächzen leise, der Tag sieht schon morgens so aus, als ob er längst zu Ende wäre. Regentropfen schlieren über die Scheiben und die Böen brüllen ums Haus. Nun ist Zeit und Muße auch für ein gutes Buch, und man hat den Abstand zum Alltag gewonnen. Zum Beispiel bei der Anfahrt über den Straßendamm auf die Halbinsel Nordstrand. Auch hier und in der Umgebung spielen Krimis, ermittelt zum Beispiel ein Husumer Kommissar. Und gute, spannende Romane, die zu der Zeit spielen, als Nordstrand noch eine Insel war – die Theodor-Storm-Krimis, mit einer schönen Beschreibung der historischen Zeit. Aber Geschichten müssen nicht nur im Buche stehen: die Küste und ihre Orte selbst sind reich an Geschichte und Legenden. Bei einer Führung mit historischem Hintergrund bekommt man nicht nur Einblick in die Örtlichkeit und erlebt Geschichte, sondern auch manches Märchen erzählt. Oder ist es doch wohl wahr? Egal. Auf Amrum (Nebel), Föhr (Nieblum und Süderende) und Sylt (Keitum) zum Beispiel lohnt ein Gang über den Friedhof. Hier stehen „sprechende Grabsteine“ und erzählen mittels eingravierter Zeilen und Motive Geschichten von Seefahren und Seefahrt. Es gibt auch hierzu Führungen, Broschüren und Infotafeln sowie ggf. Anschluss ans Mobiltelefon. Was es immer gibt, ist die eigene Fantasie, Zeit und Muße hat man hier und heute, und ein meist wildes Setting am Meer. Und oft genug eine schaurig-schöne Gänsehaut inklusive.
Der Frost der vergangenen Nacht hat die Feuchtigkeit der Luft ausgefroren und es glitzert überall. Strahlend schiebt sich die Sonne an diesem ersten Wintermorgen über die Dünen am Sylter Weststrand und eine überirdische Klarheit flutet über das Land, über das Meer. Mehr als vierzig Kilometer Sandstrand und man möge sich das einmal in Stunden Spaziergang umrechnen; ganz viel Durchatmen, ganz viel Platz, ganz viel Runterkommen. Und das Meeresrauschen ist Musik nicht nur für Wanderer, sondern auch für Saunagänger und statt ins Tauchbad geht es in die Nordseebrandung – Strandsaunen auf Sylt sind ein heißkaltes Vergnügen, gerade an kalten Tagen. Versteckt in den Dünen des Listlandes beispielsweise, liegen Saunen und nur ein paar Schritte sind es noch durch den Sand, auf einem Pfad durch letzte Dünen und vorbei am raschelnden Strandhafer ins kühlende, brausende Meer, das hier an manchen Tagen fast menschenleer ist. Es sind Oasen vollkommender Ruhe, in wohliger Weltenferne und ein Gefühl kommt auf, als ob sich Zeit und Raum aufgelöst hätten. Hier und heute kann man den Alltag vergessen, Saunen und Wellness-Angebote gibt es an der gesamten Küste – in Gesundheitszentren und vielen Hotels beispielsweise. Und auf Sylt heißt es Syltness – Wohlfühlen mit Produkten und Anwendungen von und auf dieser Insel beispielsweise und das steht für Entspannung und Erholung. Auf Sylt sind Vielfalt und Angebot für wohltuende Anwendungen von, mit und am Meer groß.
Eis knirscht unter den Stiefeln, im Schnee ist das Geflecht der Priele zu erkennen, eine fahle Wintersonne steht am Himmel und Gänse fliegen mit sehnsuchtsvollem Ruf vorüber. Im Winter ins Watt? Ja, warum denn nicht! Zwar sind Szenen wie diese, mit Schnee und Frost und einem „Eis-Gang“ im wahren Wortsinn eine Seltenheit – und ein großes Glück! Aber Watt-Exkursionen im Winter sind längst etabliert. Und nicht nur etwas für Hartgesottene: Kleine Ausflüge vor der Küste sind durchaus reizvoll für die ganze Familie, denn weder schläft das Leben im Watt im Winter noch ist es weg. Es ist alles nur etwas ruhiger als im Sommer – und die Gruppen sind in der Regel kleiner, so bleibt mehr Zeit und Muße zum Erklären und Entdecken, zum Zuhören und Genießen. Apropos Genießen: Zwei Dinge gehören im Winter an der Küste kulinarisch dazu – Grünkohl und Muscheln. In der Nähe von Büsum in Dithmarschen finden im Winter Wattwanderungen statt, die am Ende des mehrstündigen Ausflugs auf dem Meeresboden zum Entdecken an Tisch und Tafel laden; eben die „Grünkohl“-Wanderungen mit Johann P. Franzen und die „Muschel“-Wanderungen mit Michael Wieben von der Wattführergemeinschaft Dithmarscher Nordseeküste. Beides sind veritable Wattwanderungen und diese mit köstlichem Ausklang, beide etwas Besonderes. In Nordfriesland sind zum Beispiel außergewöhnlich und bemerkenswert: die Wattwanderungen vom Festland zur Hallig und die zwischen den Inseln Föhr und Amrum – beides größere Touren, beide ein spannendes Erlebnis. Weltenfern und wunderbar und ganz weit weg vom Alltag. Und wenn auch der Eisregen auf die Kapuze prasseln sollte, eine Erfrischung für Körper und Geist ist eine winterliche Wattwanderung immer – ein einzigartiges Naturerlebnis sowieso. Steht am Ende ein kulinarisch-köstliches Aufwärmen, ist das Erlebnis perfekt. Und sei es, ganz typisch, mit einem Pharisäer oder einem Eiergrog, das wärmt dann schön von Innen.
Wer kennt schon das Wintergoldhähnchen? Und wer die Schneeammer. Es gibt Vögel, die ziehen im Winter fort, und es gibt Vögel, die kommen im Winter her. Ihre Heimat ist der ganz hohe Norden, die Arktis, Grönland. Auf dem Spaziergang oder der Wanderung am Wasser kann man mit Glück und Geduld einen dieser besonderen Besucher entdecken. Oder man schließt sich geführten Wanderungen und Exkursionen an, so steigen die Chancen einer Sichtung. Denn das Wintergoldhähnchen zum Beispiel wird man kaum selbst entdecken – er ist einer der kleinsten Vögel, nur etwas größer als ein Daumen. Knuffig sieht er ohnehin aus mit seinem Clownsgesicht und dem goldenen Scheitel. Die Überraschung ist groß, während eines Vogelkiek im Winter solche gefiederten Wintergäste zu entdecken und die Freude auch, und wer kennt schon all die Entenarten, die hier an der Küste den Winter verbringen. Das Rantumbecken auf Sylt, der Beltringharder Koog nordwestlich von Husum an der Festlandküste oder der Norden der Insel Föhr sind beispielsweise Gebiete, in denen es sich lohnt, zum Fernglas zu greifen und eine stille Runde zu drehen. Und wer genau hinhört, wird vielleicht einen melancholischen Ruf hören, fast ein Trillern – das ist der Brachvogel in abendlicher Dämmerung. Ein zartes rosa Band liegt zwischen Horizont und Schneehimmel. Es ist eine herb-romantische Einsamkeit hier an Koog und Küste, wo das Land zu Ende geht. Das Schilf knistert im Wind und die leeren Wege führen von irgendwo nach nirgendwo. Und dann weht der Wind melodische, beinahe sphärische Trompetenklänge vorüber, fast wirkt es, wie der Soundtrack zu einem seltsamen Traum. Seltsam irreal. Das ist der Singschwan. Der ist aus Sibirien zu Besuch an der Nordsee.