Seit dem 18. Jahrhundert gilt die „Blumenstadt“ Erfurt als Wiege des professionellen Gartenbaus. Doch die enge Verbindung mit Kulturpflanzen reicht noch viel weiter zurück. Im Mittelalter bildete das Blaufärbemittel Waid eine wesentliche Grundlage für den Wohlstand der Stadt. Fast nahtlos mit dem Niedergang des Waidhandels begründete im 18. Jahrhundert der Gärtner Christian Reichart den modernen Erwerbsgartenbau.
Auch mit Gartenausstellungen kennen sich die Erfurter bestens aus. Aushängeschild der Blumenstadt Erfurt ist der egapark, Herzstück der Bundesgartenschau 2021. 1961 war das beliebte Garten- und Ausstellungsgelände im Südwesten der Stadt als „iga“, als „1. Internationale Gartenbauausstellung der sozialistischen Länder“ eröffnet worden.
Die Erfurter Geschichte ist seit langem eng mit Pflanzen und deren Verarbeitung verbunden. Im Mittelalter bildete das Blaufärbemittel Waid eine wichtige Grundlage für den Wohlstand der thüringischen Metropole. Vom 13. bis 16. Jahrhundert gehörte Erfurt zu den wichtigsten Waidstädten Europas, sogar über den Niedergang des Waidhandels durch die Einfuhr des Farbstoffes Indigo hinaus. Der eindrucksvolle Erfolg Erfurts als Gartenbaustadt hat Spuren in der Stadt hinterlassen: ein überdimensionales Postamt, Denkmäler sowie Monumente und vor allem ein weit verzweigtes Grünflächen-Netz.
Begründer der Gartentradition war Christian Reichart
Im 18. Jahrhundert war es der Unternehmer Christian Reichart, der den modernen Gartenbau in Erfurt begründete. Er machte nicht nur den aus Zypern stammenden Blumenkohl in unseren Breiten heimisch, sondern kultivierte im Dreienbrunnenfeld die bis heute als Erfurter Spezialität sehr beliebte Brunnenkresse. 2021 wird es zur Bundesgartenschau für das traditionelle Gemüse auf dem Hof von Ralf Fischer, der noch heute die Brunnenkresse in Erfurt ganz traditionell anbaut, ein kleines Museum zum Erfurter Superkraut geben. Dank Christian Reichart und seiner immer zahlreicheren Gärtnerkollegen wurde Erfurt zu einem Zentrum des Gartenbaus in Deutschlands. Seinen Höhepunkt erreichte der Erfurter Erwerbsgartenbau im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die großen Gartenbaudynastien – Haage, Schmidt, Benary, Heinemann, Chrestensen – erlangten um 1900 Weltgeltung. Mit ihren innovativen Produkten waren sie rund um den Globus präsent und errangen in einzelnen Bereichen, wie etwa dem Samenhandel, eine Führungsstellung.
Traditionsreiche Unternehmen noch heute präsent
Noch heute und das schon seit fast zwei Jahrzehnten, ist Kakteen-Haage eine Top-Adresse für Kakteen-Freunde. Hier findet sich Deutschlands umfassendstes Sortiment an Kakteen und anderen Sukkulenten. Beim Besuch in der Gärtnerei in der – wie sollte es anders sein – Blumenstraße in Erfurt, hat man die Wahl zwischen etwa 2000 Sorten. Wer die Kakteen auch mal von einer ganz anderen Seite kennenlernen will, dem sei das Kakteenessen in den Gewächshäusern von Kakteen Haage zu empfehlen. An einem lauen Sommerabend werden in fünf Gängen Kakteen immer auf eine andere Weise serviert. Drumherum gibt es Geschichten und Musik aus der Heimat der Kakteen, aus dem Gewächshaus und der Kakteenküche – und natürlich einen wunderbaren Abend inmitten von illuminierten Kakteen.
egapark Erfurt ist das Aushängeschild der Stadt
Auch große Gartenbauausstellungen sind seit dem 19. Jahrhundert ein Markenzeichen Erfurts. Ein erster Höhepunkt wurde 1865 mit der „Allgemeinen deutschen Ausstellung von Produkten des Land- und Gartenbaues“ erreicht. Sie gilt als „Ur-Bundesgartenschau“. Schon damals kamen Aussteller aus aller Welt. Es folgten in regelmäßigen Abständen größere Schauen. Mit der Gartenschau „Erfurt blüht“ 1950 und insbesondere mit der Internationalen Gartenbauausstellung 1961, der Iga, eroberte Erfurt seine Stellung als wichtiger Gartenschau-Standort zurück. Aushängeschild der Blumenstadt Erfurt ist heute nach wie vor der egapark, der auch gleichzeitig das Herzstück der Bundesgartenschau 2021 ist. Der Park ist ein bedeutendes Zeitzeugnis der Gartenbaukunst und wurde 1961 zur iga, der „1. Internationalen Gartenbauausstellung der sozialistischen Länder“. Aus heutiger Sicht ist der Garten einzigartig. Martin Baumann, oberster Denkmalpfleger für Gartenkultur in Thüringen, nennt den egapark gern das „bedeutendste Gartenkunstwerk der DDR“. In keiner Grünanlage Deutschlands gibt es so viele Reminiszenzen an die 1960er Jahre wie im egapark Erfurt. Noch heute findet man damalige Elemente des Landschaftsarchitekten Reinhold Lingner. Er plante die iga mit Ensembles aus Pavillons, Beeten, Pflanzschalen und verschiedenen Ausstellungshallen. „Der Park ist eine Zeitreise, die noch heute viel Charme von damals versprüht“, so Martin Baumann.
Blumen per Post
Über Jahrhunderte war der Anger in Erfurt Hauptumschlagplatz für Handel und Kommunikation in der Stadt. Voraussetzung für den Aufstieg zur Blumenstadt war ein gut funktionierender Warentransport. Bereits 1862 nutzten Erfurter Gartenbauunternehmen die Thüringische Eisenbahngesellschaft, um beispielsweise leicht verderblichen Blumenkohl als Eilgutfracht zu verschicken. Massenhaft wurden auch Pflanzenkataloge und Preislisten an Kunden mit der Post verschickt. 1884 wurde deutlich: Erfurt braucht ein mächtiges Postgebäude, um den blühenden Handel zu garantieren. Bis heute setzt es ein Statement und ist Zeugnis für Erfurt als wahre Blumenstadt. Es gipfelte darin, dass der Bedarf nach Samen zum Ende des 19. Jahrhunderts enorm stieg. Es verbreitete sich eine regelrechte Leidenschaft für Blumendekorationen. Ein Blick auf das mit Blumenranken verzierte neogotische Kreuzgratgewölbe im Inneren der Post macht diese Bedeutung sichtbar. Der Erfurter Gartenbau erreichte im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Die innovativen Produkte der großen Erfurter Gartenbaudynastien waren rund um den Globus präsent. Der Wirtschaftszweig Gartenbau war profilgebend und verlieh Erfurt den Ruf als bekannte Blumenstadt. Ein Sinnbild dessen ist nur wenige Schritte vom Hauptpostgebäude entfernt: der mächtige Monumentalbrunnen am Anger, mit „Flora“ als Allegorie für die Blütezeit der Stadt.
Einzigartiges Deutsches Gartenbaumuseum zeigt Erfurter Gartentradition
Die Sammlung des Museums umfasst rund 4.000 Exponate zum Gartenbau und weitere 14.000 Dokumente wie Kataloge, Bücher, Zeitschriften. Der Rundgang wurde neu aufgebaut, bietet Verweilorte, Wissenspunkte und Entdeckeroasen. Das Deutsche Gartenbaumuseum ist im Übrigen einzigartig in Deutschland, denn nur hier werden die Themen Gartenkunst und Erwerbsgartenbau unter einem Dach vereint.
Mit dem Thüringer Kulturreiseführer „Thuringia.MyCulture.“ auf Erlebnistour „Blumenstadt Erfurt“
Der digitale Reisebegleiter „Thüringia.MyCulture.“ führt zu den wichtigsten Punkten der Blütezeit der Blumenstadt Erfurt: Beginnend mit dem Thüringer Gartenbaupionier Christian Reichart im 18. Jahrhundert über die großen Erfurter Gartenbaudynastien wie Blumenschmidt, Haage und Chrestensen bis hin zu typisch thüringischen Pflanzen- und Blumensorten wird Geschichte erlebbar. Über die zehn Tour-Stationen wird eine zusammenhängende Geschichte entworfen, die eine neue Sicht auf die traditionsreiche Stadt Erfurt wirft.
1 Kommentar zu „Geschichte der Gartenbautradition in der „Blumenstadt“ Erfurt“
Vielen Dank für den Artikel! Ich fange bald eine Ausbildung in einem Unternehmen für Garten- und Landschaftsbau an und man hat mir empfohlen, mich mit Erfurt auseinanderzusetzen. Daher ist es gut zu wissen, dass es dort sogar ein Museum für den Bereich gibt. Ich denke, ich werde dieses Museum in naher Zukunft besuchen müssen.