Sie leiten Orchester und Museen, aber auch Opern- und Ausstellungshäuser, und sie versprechen sehr viel frischen Wind in der Wiener Kulturbranche: Viele Wiener Kulturinstitutionen werden von Frauen geführt, und es werden immer mehr. Was sie gemeinsam haben? Sie sind exzellent ausgebildet, international bestens vernetzt und sie haben viel vor.
Albertina modern: Angela Stief
Exzentrische Outfits, eine starke Neigung zur Popkultur und der Ruf, ein besonders kritischer Geist mit einer ausgeprägten feministischen Ader zu sein: Der schillerndste Neuzugang in der Führungsebene einer Wiener Kulturinstitution heißt Angela Stief. Stief leitet seit 1. September 2021 als Direktorin und Chefkuratorin die Albertina modern. Die 2020 eröffnete Dependance der weltberühmten Albertina widmet sich moderner, postmoderner und zeitgenössischer Kunst. Für Aufsehen in der Wiener Kulturbranche sorgte die 1974 in Augsburg geborene Kunsthistorikerin in ihrer Funktion als Kuratorin der Kunsthalle Wien, wo sie etwa weibliche Pop-Art, queere Mode und Performancekunst in den Mittelpunkt rückte. Für die Albertina modern war Stief bereits als Mit-Kuratorin der Eröffnungsausstellung „The Beginning“ tätig. Im Augenblick ist in der Albertina modern Stiefs Pop-Art-Ausstellung „The 80s“ zu sehen, die sich dem Stilpluralismus der 1980er widmet, und damit die Geburtsstunde der Postmoderne thematisiert. In ihrer neuen Funktion als Direktorin der Albertina modern übernimmt Stief auch die Leitung des Bereichs Gegenwartskunst im Haupthaus der Albertina.
Museum für angewandte Kunst: Lilli Hollein
Das Museum für angewandte Kunst (MAK), eine der wichtigsten Wiener Institutionen, was das Design der Wiener Jahrhundertwende um 1900 betrifft, hat mit Lilli Hollein seit 1. September 2021 eine neue Generaldirektorin. Die 1972 in Wien geborene Hollein ist keine Unbekannte. Die Kuratorin und Kulturmanagerin gilt als ausgewiesene Designexpertin und war 2007 Mitbegründerin der Vienna Design Week – Wiens wichtigste jährliche Design-Veranstaltung. Von 2013 bis 2021 leitete Hollein die Design Week im Alleingang und konnte Wien als wichtigen Ort für zeitgenössisches Design international positionieren. Die Neigung zu guter Gestaltung und die Auseinandersetzung mit besonderer Formensprache liegt ihr gewissermaßen im Blut. Hollein ist die Tochter des Wiener Architekten und Pritzker-Preisträgers Hans Hollein (1934-2014). Ihr Bruder Max Hollein leitet als Direktor das Metropolitan Museum of Art in New York. Lilli Holleins MAK-Engagement ist zu einem gewissen Grad auch eine Rückkehr. An der Universität für angewandte Kunst, die sich im selben Gebäudekomplex wie das MAK befindet, studierte sie Industriedesign.
Volksoper: Lotte de Beer
Für viel frischen Wind an der Wiener Volksoper wird ab der Saison 2022/23 Lotte de Beer sorgen. Die 1981 geborene niederländische Opernregisseurin wird damit die erste Frau sein, die dem traditionsreichen Musikhaus vorsteht. De Beer ist keine Unbekannte, was das Musiktheaterfach betrifft. Ihr Regiestudium hat sie an der Amsterdamer Hochschule der Künste absolviert – zuvor studierte sie Klavier, Gesang und Schauspiel in Maastricht. Erste große Erfolge feierte sie ab 2010 mit der von ihr mitgegründeten Compagnie Operafront. In der Folge eroberte sie die europäischen Musiktheater. An der Oper Leipzig hat de Beer ebenso inszeniert wie an der Bayrischen Staatsoper in München und bei den Bregenzer Festspielen. Aber auch mit Gastspielen in Basel, Malmö und Essen erarbeitete sie sich einen ausgezeichneten Ruf. De Beer ist bekannt für ihre sehr zeitgemäßen Inszenierungen und undogmatischen Zugänge. Mit Wien ist de Beer bereits bestens vertraut. Sie inszenierte in der Vergangenheit im Theater an der Wien und in der Kammeroper.
Jüdisches Museum Wien: Barbara Staudinger
Unter neuer Leitung steht ab Juli 2022 auch das Jüdische Museum Wien (JMW). Barbara Staudinger (geboren 1973) wird der langjährigen Direktorin Danielle Spera nachfolgen. Zuletzt war Staudinger als Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben tätig. Begonnen hat ihre Karriere 1998 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für jüdische Geschichte Österreichs. Ab 2005 war die gebürtige Wienerin als Kuratorin am Jüdischen Museum München tätig und kuratierte dort diverse Ausstellungen. Staudinger war aber genauso Teil des Kurator:innen-Teams zur Neugestaltung der österreichischen Ausstellung im staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Sie hat in ihrer beruflichen Laufbahn an vielen Forschungsprojekten gearbeitet und wissenschaftliche Publikationen zur jüdischen Geschichte und Kultur verfasst. Studiert hat Staudinger an der Universität Wien, wo sie die Studien Geschichte, Theaterwissenschaften und Judaistik belegte. Ihre Doktorarbeit verfasste sie zum Thema „Juden im Reichshofrat“.
Theatermuseum: Marie Theres Arnbom
In weiblicher Hand ist ab dem 1. Jänner 2022 auch das Theatermuseum, das zum Museumsverband des Kunsthistorischen Museum Wien gehört. Die neue wissenschaftliche Direktorin heißt Marie-Theres Arnbom, ist gebürtige Wienerin (Jahrgang 1968) und bringt langjährige Erfahrung als freischaffende Ausstellungskuratorin mit. Arnbom hat eine umfangreiche wissenschaftliche Publikationsliste vorzuweisen, gründete, konzipierte und organisierte mehrere Festivals und war in der Musikdramaturgie tätig. Im Theatermuseum ist Arnbom keine Unbekannte. Sie kuratierte dort bereits zwei Ausstellungen. Arnboms Publikationstätigkeit konzentrierte sich zuletzt auf großbürgerliche Villenbauten („Die Villen vom Ausseerland“, 2021). Sie ist außerdem Autorin der Bücher „Swing tanzen verboten! Unterhaltungsmusik nach 1933 zwischen Widerstand, Propaganda und Vertreibung“ und „Damals war Heimat. Die Welt des jüdischen Großbürgertums“. Und Arnbom ist die Intendantin der Festivals „Kindermusikfestival St. Gilgen“ und „Hölle am See“. Ihr Hauptanliegen hinsichtlich ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Direktorin ist die Öffnung des Theatermuseums für neue Publikumsschichten.
RSO & MdW: Marin Alsop
Bereits seit September 2019 steht das ORF Radiosymphonie-Orchester (RSO) unter der neuen Leitung von Marin Alsop. Sie ist die erste Frau, die dem RSO vorsteht. Zudem ist die 1956 in New York geborene Dirigentin, die erste Frau, die an der international bedeutenden Universität für Musik und darstellende Kunst Wien im Bereich Orchesterdirigieren unterrichtet. Alsop gilt schon lange als Pionierin in einer stark von Männern geprägten Branche. Ihre bisherige Karriere spricht Bände: Zu einem ersten Durchbruch verhalf ihr der Gewinn des New Yorker Leopold-Stokowski-Wettbewerbs 1989. Einer ihrer Mentoren war Leonard Bernstein, bei dem Alsop studierte. Kaum ein großes Orchester, das Alsop noch nicht dirigiert hat: Sie hatte Gastdirigate bei New York Philharmonic, dem London Symphony Orchestra und dem Tonhalle Orchester Zürich. Aber auch das Orchestre de Paris, die Münchener Philharmoniker und viele mehr setzten auf die musikalische Leitung durch Alsop. Zudem war Alsop als Dirigentin des Baltimore Symphony Orchestra die erste Frau überhaupt, die ein großes US-amerikanisches Orchester leitete.