Bis heute ist Ostern für viele Menschen in Polen das wichtigste Familienfest neben Weihnachten. Gesegnete Speisen, Prozessionen und bunte Osterpalmen gehören genauso dazu wie zahlreiche heidnische Bräuche. Die meisten gehen auf alte Frühlingsrituale zurück, wie etwa der Śmigus-dyngus mit Rutenschlagen und Wasserspritzen. Besonders schön sind die Pisanki. Diese kunstvoll verzierten Ostereier dürfen auf keinem Ostertisch fehlen.
Zum Beginn der Karwoche am Palmsonntag werden in zahlreichen katholischen Regionen der Welt Osterpalmen hergestellt. Doch nirgends sind sie so farbenprächtig und so groß wie in Polen. Die Meister der Osterpalmenkunst sind die in Nordostmasowien ansässigen Kurpen und die Góralen, die Bergbewohner Kleinpolens. Als Grundlage für ihre Kunstwerke dienen frisch geschnittene Ruten von Büschen oder ähnliche Naturmaterialien, die dann zu Bündeln geformt und mit farbigen Blüten, Blättern und Gräsern geschmückt werden.
Die größte Osterpalme Polens wird seit 1958 im kleinpolnischen Lipnica Murowana gekürt. Den aktuellen Rekord stellte Andrzej Goryl mit 37,78 Metern im Jahre 2019 auf. Im Kurpendorf Łyse geht es hingegen nicht um die Länge, sondern um die Ästhetik. Dort wird jedes Jahr die schönste Osterpalme des Landes gekürt. Die Frauen des Ortes stellen oft schon zu Beginn der Fastenzeit für ihre Osterpalmen die ersten Blüten und Schmuckelemente aus buntem Papier her.
Wie die Palmen, so gehören auch Pisanki zum polnischen Osterfest einfach dazu. Dabei hat jede Region ganze eigene Traditionen, was deren Herstellung und die verwendeten Motive anbelangt. Weit verbreitet sind vor allem die mit Wachs- oder Kratztechniken hergestellte Eier. Sie dienen nicht nur als Osterschmuck. Als österliche Speise sollen sie wahlweise gegen böse Geister helfen, den Körper reinigen oder einen lang gehegten Kinderwunsch erfüllen. Zusammen mit allem Guten, was die Speisekammer hergibt, sind Eier in jeglicher Form fester Bestandteil des Fastenbrechens am Ostersonntag.
In traditionellen Haushalten steht bis heute ein kleiner Korb im Mittelpunkt. In ihm befinden sich Speisen, die am Vortag in die Kirche gebracht und von einem Priester gesegnet wurden. Zu diesen „Święconka“ zählen Eier, Meerrettich und Salz, die alle eine symbolische Bedeutung für das Osterfest haben. So steht der Meerrettich wegen seiner Schärfe und den damit oftmals verbundenen Tränen für das Bittere der Leiden Christi. Wem die rohe Wurzel aber zu heftig ist, darf auf „Ćwikła“ zurückgreifen. Die cremige Paste aus Meerrettich und Roter Beete erfreut sich auch außerhalb der Osterzeit großer Beliebtheit. Kulinarischer Höhepunkt des Ostersonntags ist der Osterbraten, für den jede Familie ihr eigenes Rezept hat. Vorab gibt es oft Żurek, eine saure Mehlsuppe.
Für die Mehrzahl der gläubigen Christen in Polen gehört die traditionelle Auferstehungsmesse, die entweder nach Einbruch der Dunkelheit am Sonnabend oder vor Sonnenaufgang am Ostersonntag beginnt, zum festen Osterprogramm. Wichtiger Teil sind die Osterprozessionen. In Teilen Schlesiens blieb das Osterreiten erhalten. Pietrowice Wielkie (Groß Peterwitz) gilt als Zentrum dieses Brauchs, der immer am Ostermontag ausgeübt wird. Wie bei den normalen Osterprozessionen wird der Zug von einem Priester in vollem Ornat geleitet. Hinter ihm folgen die Gemeindemitglieder hoch zu Ross oder auf dem Pferdegespann. Gemeinsam reitet man zur außerhalb gelegenen Heiligkreuz-Kirche, wo die örtlichen Bauern bei einem Bittgottesdienst unter freiem Himmel für eine gute Ernte beten. Danach geht die Prozession weiter und der Priester segnet die Felder der Landwirte. Im Anschluss findet ein Fest im örtlichen Stadion statt. Woher dieser Brauch stammt, weiß niemand mehr so genau. Schriftlich belegt ist das Osterreiten in Pietrowice Wielkie seit etwa 300 Jahren. Ähnliche Traditionen gibt es heute noch bei den slawischen Sorben in der Lausitz sowie in Bayern.
Neben diesen christlichen Traditionen sind bis heute zahlreiche Bräuche heidnischen Ursprungs lebendig. Zum Frühlingsanfang steht vor allem die Fruchtbarkeit von Mensch und Natur im Vordergrund. So auch bei der altpolnischen Tradition des Śmigus-dyngus. Wer am Ostermontag unterwegs ist, sollte sich auf etwas gefasst machen. Vor allem Mädchen und junge Frauen wurden früher ausgiebig mit Wasser bespritzt. Das sollte sie von allem Schlechten befreien und ihnen zudem viele Kinder bescheren. Die Wasserattacken sind heute vor allem zu einem Vergnügen für Kinder und Jugendliche geworden, die mit Eimern oder Wasserpistolen an Straßenecken auf ihre Opfer lauern.
In einigen ländlichen Regionen sind die sogenannten Pucheroki noch Brauch. Schon der polnische Renaissancedichter Jan Kochanowski berichtete im 16. Jahrhundert von ihnen. Kinder und Jugendliche schmieren sich Ruß ins Gesicht, ziehen umgedrehte Pelzwesten an und setzen lange, spitze Krepphüte auf. In Kraków (Krakau) und vielen weiteren Orten in Klein- und Großpolen sind sie so verkleidet am frühen Morgen des Palmsonntags unterwegs. Ausgerüstet mit einem Körbchen und einem langen Stab mit Holzhammer ziehen sie von Haus zu Haus, singen christliche sowie Volkslieder und rächen sich gebührend an denen, die sie dafür nicht mit Eiern und kleinen Leckereien entlohnen.
Text: Olaf Matthei-Socha